ORT(S)_GESCHEHE(N) stellt Tradition und Moderne, Brauchtum und Erneuerung auf künstlerische Weise gegenüber. Dabei zeigt sich, dass Neues nicht durch den Bruch mit Vertrautem, sondern schon durch dessen schlichte Umgestaltung entstehen kann. So werden altbekannte Plätze und Örtlichkeiten neu erlebbar gemacht und mit alternativen Erfahrungen und Ideen aufgeladen. Zu sehen sind Werke, die Wattner BewohnerInnen, Vereine und Räume thematisieren.

Christoph Fink: Frozen Memories

Ende Juli 2017 lud der Wattner Kulturverein Grammophon in Zusammenarbeit mit Verena Nagl erstmals zur Präsentation des Projektes ORT(S)_GESCHEHE(N) – Im Dialog mit Mnemosyne ein. Das Konzept: 8 KünstlerInnen, 7 Schauplätze, 1 Wattens. Über mehrere Wochen hinweg beschäftigten sich Kunstschaffende aus vielen Teilen Österreichs auf unterschiedlichste Weise mit dem Ort Wattens und dessen Geschichte. Ihre Eindrücke verarbeiteten sie mithilfe von Medien wie Fotografie, Film, Keramik oder gar kulinarischen Happenings im öffentlichen Raum.

Christian Rupp: Kommunizierende Biergefäße

Als theoretischer Ausgangspunkt diente ein kulturwissenschaftlicher Ansatz. Er basiert auf den Forschungen und Überlegungen des Kunsthistori-kers Aby Warburg und der Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assman. Sie entwickelten eine Theorie über das Kollektive Gedächtnis, über Erinnerungen und Denkräume, und wie diese von Generation zu Generation weitergegeben und bewahrt werden.

Bei strahlendem Sonnenschein wurde der Ortskern an drei Tagen und in mehreren Gruppen pro Tag durchwandert. Die Begleitung und Kunstvermittlung durch Annette Tesarek und Verena Nagl war ein zentrales Element von ORT(S)_GESCHEHE(N). So konnten die BesucherInnen tief in die jeweilige Arbeit eintauchen.

Umgesetzt wurde das Projekt in zwei Phasen: Im Rahmen eines „Recherche-Wochenendes“ Anfang Mai erkundeten acht KünstlerInnen zunächst drei Tage lang die Marktgemeinde und standen während dieser Zeit in aktivem Austausch mit den Einheimischen. Sie besuchten Veranstaltungen, luden zu einem Erzählcafé und nutzten ansässige Archive. Daraufhin erarbeiteten sie über einen Zeitraum von zwei Monaten künstlerische Konzepte, die am letzten Juli-Wochenende an altbekannten Plätzen und Räumen präsentiert wurden. Bei einer Durchwanderung des Ortskerns wurden die Werke von den BesucherInnen mit alternativen Erfahrungen und Ideen aufgeladen. Die KünstlerInnen agierten dabei als Schnittstelle und zeigten, so wie Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas, dass Neues nicht durch den Bruch mit dem Alten, sondern lediglich durch dessen schlichte Umgestaltung entstehen kann. Ziel des Projektes war die Stärkung und Förderung des lokalen Kulturbewusstseins, von gesellschaftlichen Prozesse und Wahrnehmungen. Durch unterschiedlichste Positionen zeitgenössischer Kunst wurde nicht nur das Wattener Ortsbild, sondern auch die Frage nach seinem kollektivem Gedächtnis und seinen Erinnerungsräumen neu interpretiert und reflektiert.

FROZEN MEMORIES

In einem temporären Eis-Salon im ehemaligen Gasthof zum Tiroler in der Geigergasse gibt Christoph Fink Eis aus. Aber nicht irgendwelches: Im Rahmen seines Projekts Frozen Memories hat er bei den Mitgliedern des Seniorenvereins Wattens- Wattenberg nachgefragt, mit welchen Geschmäckern sie ihre Kindheit oder ihr erstes Eis verbinden. Herausgekommen sind zwanzig humorige Eissorten wie Stollwerck, Brennsuppe oder Graukas.

MEMBRANE

Entlang der Museumsbaustelle hingen großformatige Außen- und Innenansichten des Gasthofs zum Tiroler. Die Fotografin Annette Tesarek lotete in ihrem Projekt den künstlerischen Bildraum als Insel zwischen Erinnern und Vergessen aus.

EWIGE GASTSTUBE

In der ehemaligen Nagelschmiede und Krämerei im Stecherhaus (Innsbrucker Straße) zeigte Norbert Unfug sein Projekt Ewige Gaststube. Über eine Virtual Reality-Brille konnte man die alte Zirbenstube im Gasthof zum Tiroler virtuell begehen.

VEREINSLEBEN

Rudolf Strobl beschäftigte sich fotografisch mit einigen Wattener Vereinen. Die Ergebnisse seiner Recherche stellte er in einem Zimmer im Kirchturm der Marienkirche aus.

KOMMUNIZIERENDE BIERGEFÄSSE

Christian Rupp macht sich auf die spontane Suche nach jeweils zwei Personen, die an einem Biertisch eingeladen werden, einen Krug Bier zu leeren. Was das Paar zunächst nicht sieht: Die beiden Krüge sind unter dem Tisch mit einem Schlauch verbunden. Wird ein Krug angehoben, geht der andere über. Es braucht also Kommunikation. Die Fremden kommen ins Gespräch und eine oft strenge Struktur wird humorvoll hinterfragt.

ZEITKAPSEL

Sabine Rauth lud die Bevölkerung ein, Bilder, Texte und Gegenstände in ein Keramikgefäß zu werfen. Künftigen Generationen sollen so Erinnerungen an Wattens weitergegeben werden. Die Form der Zeitkapsel bezieht sich auf die archäologischen Fundstücke im Himmelreich und Volderer Urnenfeld.

ERINNERUNGSRAUM

Isabella Kohout und Tobias Zarfl haben die drei Wattner Urgesteine Hugo Daxböck, Elfriede Gäck-Marx und Gerold Stainer filmisch porträtiert. Im Musikpavillon, am Projektwochenende in ein öffentliches Wohnzimmer verwandelt, wurden die Kurzfilme gezeigt.

ORT(S)_GESCHEHE(N)

Das Kunst- und Kulturprojekt Ort(s)geschehe(n) fand Ende Juli 2017 in einer Kooperation zwischen Verena Nagl und dem Kulturverein Grammophon zum ersten Mal in Wattens statt. Ursprünglich nur für dieses eine Mal konzipiert, geht Ort(s)geschehe(n) im Herbst 2018 in die nächste Runde.

hallo@ortsgeschehen.at

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